Plädoyer für eine frühe Therapie
Ihr neues Buch hat die Kinderneurologin Kirsten Stollhoff zusammen mit den Medizinjournalistinnen Wilma Mahler und Karin Duscha herausgegeben. Gleich im Vorwort wird deutlich, dass das Buch auf pädagogische Ratschläge verzichtet, sich aber gleichwohl an alle Berufsgruppen wendet, die mit der öffentlichen Erziehung betraut sind, also vor allem an Erzieher, Lehrer, Schulärzte Sozialarbeiter.
Kurz zum Inhalt, es sei von den geschilderten Schicksalen hier eines skizziert: Da wächst ein Kind und späterer junger Mensch nach allen schrecklichen Regeln dieser Störung auf, zieht seine hilfsbereiten Eltern und sein ganzes Umfeld mit in den gesellschaftlichen Strudel, und trotzt der faustdicken Symptomatik sind alle offiziellen Stellen (s. o) nicht in der Lage, „das Kind beim Namen zu nennen“, sondern verordnen eine Menge Therapie für eine Menge Geld, aber nichts hilft, weil die eigentliche Ursache nicht erkannt – oder mit einer Ignoranz ohnegleichen nicht anerkannt – wird. Und die negative Logik setzt sich fort, indem die Autorinnen anhand von Studien und Statistiken aufzeigen, wie junge Menschen mit einer nicht erkannten ADHS über Dissozialität (Streunen, Schuleschwänzen), aggressivem Trotzverhalten (körperliche Übergriffe, Rohheit) bis zu kriminellem Verhalten (Diebstahl, Drogenhandel) in die Straffälligkeit abrutschen, und zwar überdimensional häufiger als Menschen ohne ADHS, und dass das Ausmaß der ADHS für das Eintrittsalter in die Delinquenz entscheidend ist. Kritisch beurteilt wird von den Autorinnen die Unwissenheit vieler sog. Fachleute, inklusive der „blinden Politiker, die hartnäckig an der Verleumdung der Zusammenhänge festhalten“. Die Frage nach Weiterbildung wird aufgeworfen, aber wie und wo man diese Leute erreicht, bleibt offen. Am Ende des Buches werden viele Fragen zum Thematik sehr sachlich behandelt, wobei auch die Stimulanzientherapie ausführlich zu Wort kommt.
Dir Frage, wem das Buch ganz besonders zu empfehlen ist, beantwortet sich von selbst: Wenn Erzieher, Lehrer und Sozialarbeiter sich nach der Lektüre schleunigst in die nächst Fortbildung begeben, an Kongressen zum Thema teilnehmen, fragen, hören, lernen und sich auf eine neue Sichtweise einlassen, dann hat das Buch seinen Zweck erfüllt.
aus neue AKZENTE Nr. 62