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Zauberwürfel mit beigem Hintergrund

Tourette-Syndrom

Mit freundlicher Genehmigung der Tourette-Gesellschaft Deutschland e. V.,
www.tourette-gesellschaft.de

Was ist ein Tourette-Syndrom?

Das Tourette-Syndrom (TS) ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durch Tics charakterisiert ist. Bei den Tics handelt es sich um weitgehend unwillkürliche, rasche, meistens plötzlich einschießende Bewegungen, die immer wieder in gleicher Weise auftreten können, aber nicht rhythmisch sind und auch im Schlaf vorkommen können.

Die Symptome beinhalten:

  1. sowohl multiple motorische (Muskelzuckungen) als auch einen oder mehrere vokale (Lautäußerungen) Tics. Letztere stellen sich im Verlauf der Erkrankung ein, müssen aber nicht notwendigerweise gleichzeitig mit den motorischen Tics vorkommen;
  2. das Auftreten von Tics mehrfach am Tag (gewöhnlich in Serien), fast jeden Tag oder immer wieder über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr;
  3. periodische Wechsel hinsichtlich Häufigkeit, Art und Lokalisation der Tics wie auch hinsichtlich des Zu- und Abnehmens ihrer Ausprägung. Die Symptome können manchmal für Wochen oder Monate verschwinden, aber auch unvermutet wieder auftreten.
  4. Die Erkrankung beginnt fast immer vor dem 18. Lebensjahr.

Die Bezeichnung »unwillkürlich«, die zur Beschreibung der Tics verwandt wird, führt manchmal zu Missverständnissen, da die meisten Personen, die von einem TS betroffen sind, ein Vorgefühl vor einem Tic und/oder eine gewisse Eigenkontrolle über ihre Symptome haben. Vielfach weiß man leider nicht, dass die Eigenkontrolle, die für Sekunden bis Stunden vom Patienten wahrgenommen werden kann, meist nur ein zeitliches Hinausschieben schwerer »Tic- Entladungen« bedeutet und eher selten dazu führt, dass der unterdrückte Tic überhaupt nicht auftritt. Meist ist der Drang zur Ausübung der Tics so stark, dass schließlich die Muskelzuckung oder die Lautäußerung doch stattfinden muss (vergleichbar mit dem Drang zu Niesen bzw. zu einem Schluckauf). Menschen mit einem TS suchen oft eine geschützte Umgebung, um ihren Symptomen freien Lauf zu lassen, nachdem sie versucht haben, sie bei der Arbeit oder in der Schule nicht zeigen zu müssen. Typischerweise nehmen Tics im Zusammenhang mit ärgerlicher oder freudiger Erregung, Anspannung oder Stress zu. In entspanntem Zustand oder bei Konzentration auf eine interessante Aufgabe lassen sie eher nach.

Haben alle Personen mit einem Tourette-Syndrom zusätzlich andere Verhaltensprobleme neben Tics?

Nicht alle, aber doch ein großer Anteil der Menschen mit TS haben zusätzliche Probleme, die aber nicht notwendigerweise vom TS herrühren müssen, wie z. B.:

  • Zwanghafte Verhaltensweisen und ritualisiertes Verhalten
    Dabei hat die betroffene Person z. B. das Gefühl, dass manches immer und immer wieder getan werden muss, bis es »richtig« ist, dies kann auch für eine Tic-Bewegung gelten. Es kann auch das Berühren von Dingen beinhalten, die z. B. mit einer Hand berührt werden müssen, um »die Dinge gleich zu machen« oder »die Symmetrie herzustellen«. Es kann auch sein, dass die betroffene Person wiederholt prüfen muss, ob der Herd ausgeschaltet ist, die Tür richtig geschlossen ist usw. Kinder bitten manchmal ihre Eltern, einen Satz mehrfach zu wiederholen, bis er »richtig klingt«.
  • Motorische Hyperaktivität mit oder ohne Störung der Aufmerksamkeit
    Dies findet sich bei vielen Personen mit TS. Bei Kindern können Zeichen der Hyperaktivität gesehen werden, bevor TS-Symptome auftreten. Indikatoren für ein Hyperkinetisches Syndrom (ADHS, Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung) beinhalten: Schwierigkeiten mit der Konzentration; Probleme, angefangene Dinge zu Ende zu bringen; nicht zuhören zu können; leicht ablenkbar zu sein; oft zu handeln, bevor nachgedacht wurde; stetiger und rascher Wechsel von einer Aktivität zur anderen, noch bevor sie beendet ist; die Kinder benötigen viel Aufsicht und Regulierungshilfen von außen. Erwachsene können ebenfalls noch Zeichen eines Hyperkinetischen Syndroms aufweisen, wie mangelnde kognitive oder emotionale Impulskontrolle sowie Konzentrationsschwierigkeiten.
  • Lernschwierigkeiten
    Wie Störungen des Lesens, des Schreibens und Rechnens sowie Probleme der differenzierten Wahrnehmung (z. B. Figur-Hintergrund Unterscheidung komplexer Art).
  • Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle
    Wie schon erwähnt, kann es in seltenen Fällen zu sehr aggressivem (Worte, Handlungen) oder auch sozial unerwünschtem Verhalten kommen.
  • Schlafstörungen und Depressivität
    Sind durchaus bei Personen mit TS zu finden. Dies beinhaltet Traurigkeit, Lustlosigkeit, Rückzugsverhalten, Einschlafschwierigkeiten, häufiges nächtliches Erwachen oder auch Schlafwandeln bzw. Sprechen im Schlaf.

Was sind die ersten Symptome?

Am häufigsten findet sich zuerst ein Gesichts-Tic, wie z. B. Augenblinzeln, plötzliches rasches Augenzusammenkneifen, Verziehen des Mundwinkels oder plötzliches Mundöffnen. Es können aber auch unwillkürliche Lautäußerungen wie Räuspern und Naserümpfen oder einschießende Muskelzuckungen im Extremitätenbereich (z. B. plötzliches symmetrisches Armbeugen) als erste Zeichen gesehen werden. Manchmal beginnt die Störung abrupt mit mehreren Symptomen, d. h. Muskelzuckungen und Lautäußerungen treten nahezu gleichzeitig auf.

Was verursacht die Symptome?

Die Ursache ist bis jetzt noch nicht gefunden, obwohl die derzeitigen Forschungsergebnisse dafür sprechen, dass bei dem TS ein gestörter Stoffwechsel von zumindest einer chemischen Substanz im Gehirn vorliegt. Es handelt sich dabei um den chemischen Stoff Dopamin. Dies ist ein so genannter Neurotransmitter, ein Überträgerstoff in unserem Gehirn, der für die Informationsweiterleitung (z. B. im Rahmen von Bewegungsprogrammen) wichtig ist. Man vermutet aber, dass auch andere Neurotransmitter, z. B. Serotonin, betroffen sind.

Ist das Tourette-Syndrom vererbbar?

Genetische Studien weisen darauf hin, dass es zumindest auch eine erbliche Form des TS gibt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein Muster von Genen unterschiedlicher Bedeutung, das (im Zusammenwirken mit anderen Faktoren) die Verschiedenartigkeit der Symptomatik bei den einzelnen Familienmitgliedern bewirkt. Eine Person mit einem solchen TS überträgt mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit mit jeder Schwangerschaft solche Gene auf eines ihrer Kinder. Allerdings kann diese genetische Prädisposition (erbliche Belastung) sich später, wenn überhaupt, als ein TS unterschiedlicher Ausprägung zeigen: z. B. als leichte motorische Tic-Störung oder als Tic-Störung mit Zwangsmerkmalen. Es ist bekannt, dass in den Familien von TS-Patienten sich überzufällig häufig Familienmitglieder mit leichten Tic-Störungen und zwanghaften Verhaltensweisen finden.

Das Geschlecht des Kindes beeinflusst ebenfalls, wie das Genmuster wirksam wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit TS-Genen Symptome entwickeln wird (seien sie leichterer oder schwerer Art) ist zumindest drei- bis vier Mal höher bei einem Sohn im Vergleichzu einer Tochter. Allerdings entwickeln lediglich etwa 10% der Kinder, denen TS-Gene vererbt wurden, eine TS-Symptomatik, die so stark ist, dass eine medikamentöse Behandlung erforderlich wird. Neben der erblichen Form des TS gibt es aber auch nichterbliche Formen, d. h. so genannte sporadische Formen des TS. Die Ursache in diesen Fällen ist meist völlig unbekannt. Lediglich bei wenigen Patienten kann eine Infektion mit z. B. Streptokokken als Ursache vorliegen.

Wie wird ein Tourette-Syndrom diagnostiziert?

Die Diagnose wird dadurch gestellt, dass die entsprechenden Symptome beobachtet werden und der bisherige Verlauf der Erkrankung genau beleuchtet wird. Es gibt keinerlei Blutanalyse oder irgendeine andere Art neurologischer oder psychologischer Untersuchungsverfahren, die aus sich heraus die Diagnose eines TS erlauben. Um das TS von anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen sicher abgrenzen zu können, sind in manchen Fällen ein Elektroencephalogramm, ein kraniales Computertomogramm oder ein Kernspintomogramm bzw. sonstige medizinische Untersuchungen sinnvoll. Fragebogen und Schätzskalen sind verfügbar, um Art und Weise sowie Schweregrad der Tic-Störung besser beurteilen zu können.

Gibt es eine Therapie, die zur vollkommenen Heilung führt?

Bisher leider nicht.

Darf man mit einem Rückgang der Beschwerden rechnen?

Eine Reihe von Personen erfahren als Jugendliche oder als junge Erwachsene (etwa zwischen 15 und 25 Jahren) eine deutliche Verbesserung. Vielen Personen mit einem TS geht es im Laufe ihrer Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen besser. Personen mit einem TS haben eine normale Lebenserwartung. In Einzelfällen wurde auch schon von einer vollständigen und endgültigen Rückbildung der Symptomatik berichtet.

Wie würde man einen typischen Fall von Tourette-Syndrom beschreiben?

Das Wort »typisch« kann nicht ohne weiteres auf das TS angewendet werden. Die Symptomatik zeigt sich in einem breiten Spektrum von sehr milden Formen (und dies gilt für die meisten betroffenen Menschen) bis hin zu sehr schweren Formen, die von nur wenigen Personen durchlitten werden müssen.

Wie wird das Tourette-Syndrom behandelt?

Die Mehrheit der Personen, die ein TS zeigen, sind durch ihre Tics oder ihre Verhaltensschwierigkeiten nicht wesentlich beeinträchtigt und benötigen deswegen keinerlei Medikation oder sonstige fachliche Hilfe. Sollen aber motorische und vokale Tics behandelt werden, so stehen uns verschiedene Medikamente zur Verfügung, um die Symptome zu kontrollieren, wenn sie für den Betroffenen und seine Familie eine besondere Belastung darstellen.

Andere Arten der Behandlung können ebenfalls hilfreich sein. So können Entspannungsverfahren, Antistresstraining, Biofeedback-Techniken und andere verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen zum einen Stressreaktionen vermindern helfen (die ansonsten Tics verstärken), zum anderen können sie auch die Selbstkontrolle der Tic-Symptomatik verbessern. So kann z. B. mit dem Programm der »Reaktionsumkehr-Motorische Gegenantwort« gelernt werden, dass man einem unangenehmen Tic durch eine Willkürbewegung »gegenhält« oder den Tic eher durch eine Bewegung, die sozial akzeptabler ist, ersetzt. Auch können sonstige psychotherapeutische Maßnahmen in Frage kommen, um einen Betroffenen und seine Familie zu unterstützen, damit der innere und äußere Umgang mit dem TS besser gelingt.

Wie viele Personen mit einem Tourette-Syndrom gibt es in Deutschland?

Die tägliche Erfahrung zeigt, dass es viele Personen mit einem TS gibt, bei denen die Diagnose bisher noch nicht gestellt wurde. Daher können die verfügbaren Zahlen nur Annäherungswerte darstellen. Sie liegen weltweit bei 0,05-3%. Überträgt man diese Zahlen auf die Bundesrepublik Deutschland, so müssten hier mindestens 40.000 Personen mit einem TS leben.

Benötigen Patienten mit Tourette-Syndrom spezielle erzieherische, schulische oder berufliche Hilfe?

Kinder mit einem TS besitzen in etwa die gleichen geistigen Leistungsfähigkeiten wie andere Kinder ihres Alters. Dennoch haben viele Kinder mit einem TS Lernschwierigkeiten. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass etwa 50% der Kinder mit einem TS auch von einem Hyperkinetischen Syndrom betroffen sind. Es kommt noch hinzu, dass sie mit ihren Tics zu kämpfen haben (Störungen beim Schreiben, Hänseleien). Hier muss für jedes einzelne Kind eine passende Lösung gefunden werden. Dies kann reichen bis hin zur Benutzung von Schreibmaschinen oder Computern wegen Lese- oder Schreibproblemen, Prüfungen in speziellen Räumen, wenn vokale Tics ein großes Problem darstellen, oder der Erlaubnis, den Klassenraum zu verlassen, wenn die Tics sich unüberwindbar angestaut haben. Kommt es zu weiteren Verhaltensschwierigkeiten, so sind diejenigen Maßnahmen einsetzbar, die auch bei Kindern ohne ein TS, z. B. von Seiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie, angeboten werden.

Jeder Mensch - mit und ohne TS - sollte sich einen Beruf entsprechend seinen Neigungen und Fähigkeiten aussuchen. Der Tourette-Gesellschaft Deutschland e. V. gehören Betroffene mit ganz unterschiedlichen Berufen an, wie Musiker, Ingenieure, Ärzte, Arbeiter, Landwirte, Pädagogen, Metzger, Polizisten. Bei nach außen deutlich sicht- und hörbaren Tics kann ein Beruf mit viel Kundenverkehr problematisch sein. Nur schwer vom TS betroffene Personen müssen mit Einschränkungen ihrer privaten und beruflichen Lebensgestaltung rechnen. Dabei können und sollten sie alle verfügbaren staatlichen Hilfen nutzen.

Ist es wichtig, das Tourette-Syndrom früh zu behandeln?

Ja, insbesondere in den Fällen, in denen die Symptomatik so ausgeprägt ist, dass die Kinder als bizarr, störend und Angst auslösend erlebt werden und Kind und Umgebung unter dem TS leiden. Nicht selten bewirken TS-Symptome, dass die Kinder ausgelacht werden, von ihren Altersgenossen zurückgewiesen werden, sich Nachbarn, Lehrer und andere Personen über die Kinder beschweren, den Eltern Vorwürfe machen. Auch die Eltern selbst können mitunter erschrocken sein über das merkwürdige Verhalten ihrer Kinder. Ferner kann das Kind im Selbsterleben seiner Tic-Symptomatik zunehmend aus dem seelischen Gleichgewicht geraten. Diese Schwierigkeiten können im Laufe der Entwicklung eventuell noch zunehmen, gerade wenn Jugendliche ohnehin in eine schwierige Entwicklungsphase geraten. Um derartige psychologische Folgewirkungen zu vermeiden und dem Kind eine möglichst günstige Entwicklung zu ermöglichen, ist eine frühe Diagnose und eine frühe Behandlung von Kind und Familie unbedingt anzuraten.

Was ist bei der Erziehung von einem Kind mit Tourette-Syndrom zu beachten?

Eltern, die ein Kind mit einem TS haben, sind einer Gratwanderung zwischen erzieherischer Notwendigkeit, verständnisvollem Umgang und Überbehütung ausgesetzt. Sie sind stetig mit der Frage konfrontiert, ob oder ob nicht gewisse Handlungen ihres Kindes Ausdruck des TS sind oder Verhaltensauffälligkeiten darstellen, die erzieherisch korrigiert werden müssten und könnten. Die Eltern müssen dann die richtige Umgangsform für ihr Kind finden. Eltern eines Kindes mit einem TS sollten ihrem Kind die Möglichkeit geben, sich so unabhängig wie möglich entwickeln zu können. Dabei sollten sie sich nicht scheuen, in liebevoller, aber konsequenter Weise Grenzen zu setzen, wie sie das z. B. bei nicht betroffenen Geschwistern auch tun würden.

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Weitere Informationen finden Sie auf folgenden Internetseiten:

www.tourette-gesellschaft.de

www.iv-ts.de

 

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