Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Franz Petermann
Das Entwirren der Komplexität hat gerade begonnen ... aber selbst in seinen frühen Phasen benötigt man einen Weitblick, wenn man irgendwo ankommen will (Edelmann 1992). Mit diesem Statement leitet der Autor sein Buch ein - und stimmt damit den Leser darauf ein, dass hier keine Lösungen vorgegeben werden, sondern der Versuch etwas Klarheit über ADHS zu vermitteln.
Thomas E. Brown betrachtet das ADHS (Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom) als ein komplexes Syndrom von entwicklungsbezogenen Störungen der Exekutivfunktionen. Exekutivfunktionen ermöglichen uns zielorientiertes und situationsangepasstes Verhalten. Der Autor definiert die Exekutivfunktionen weiter als sonst üblich. Für ihn umfassen sie die Aktivierung, den Fokus, die Leistung, die Emotion, das Gedächtnis und die Aktivität. Durch Störungen der Exekutivfunktionen wird das Selbstmanagement –System des Gehirns beeinträchtigt mit der Folge einer chronischen und signifikanten Behinderung der Funktionsfähigkeit im Alltag.
Der Autor unterlegt seine Hypothesen durch wissenschaftliche Ergebnisse im Bereich der Neurobiologie und zahlreiche Beispiele aus dem Alltag der Betroffenen.
Als logische Folge einer entwicklungsbezogenen neurobiologischen Störung favorisiert der Autor den Einsatz der Medikation. Er stellt ausführlich die aktuelle Literatur über die Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie ebenso wie die deutlich geringere bis nicht vorhandene Wirksamkeit der zahlreichen psychoedukativen Maßnahmen vor
In letzten Teil seines Buches geht der Autor auf die Komorbiditäten der ADHS ein, weist auf Zusammenhänge aber auch trennende Faktoren hin.
Kommentar
Sowohl der mit ADHS bereits vertraute Leser als auch der „Neueinsteiger“ erfährt in diesem Buch einen guten und verständlichen Überblick über die ADHS. Es ist dem Autor zu danken, dass er sich klar über die neurologische Entstehung äußert und eine Stellungnahme zu den therapeutischen Optionen zieht. Das Buch ist interessant bis zur letzten Seite zu lesen durch die zahlreichen Beispiele aus dem Alltag der Betroffenen. Wichtig ist auch der Hinweise des Autors, dass die Störung situationsvariabel auftritt, also nicht wie im ICD 10 oder DSMV gefordert situationskonstant. Immer wieder wird von Eltern betroffener Kinder berichtet, dass diesen Teilbereiche der exekutiven Funktionen, wie sich fokussieren und auch das Arbeitsgedächtnis sehr gut möglich sind, wenn sie motiviert sind. Diese Motivation können sie jedoch nicht für einen großen Teil der im Alltag erforderlichen oft „langweiligen und sich wiederholenden“ Tätigkeiten aufbringen – und vor allem auch nicht für das Lernen in der Schule.
Das Buch stellt eine deutliche Bereicherung der bereits sehr umfänglichen ADHS-Literatur dar und ist für alle, Eltern wie auch Betreuer und Ärzte der Betroffenen, sehr zu empfehlen. Wünschenswert wäre es auch, wenn Journalisten, bevor sie wieder einen Bericht über ADHS schreiben, Kenntnis über den Inhalt dieses Buches hätten.
Dr. Kirsten Stollhoff