Jesper Juul
Elterncoaching
Gelassen erziehen
ISBN: 978-3407859204
Verlag: Beltz, 2011
Preis: 17,95 €
Ich lernte während meines Theologiestudiums, dass Ärger ein guter Ausgangspunkt ist, wenn man einem Text auf die Spur kommen will. Denn hinter dem, was einen stört, kann ein Hinweis zum tieferen Verständnis eines Textes stehen. Man muss der Versuchung widerstehen, ihn glätten zu wollen. In dieser Manier verwendete ich Lesezeichen an jeder Stelle in Jesper Juuls „Elterncoaching“, die mich störte oder befremdete. Nach kurzer Zeit war das Buch gespickt mit Papierstreifen und Haftnotizen.
Der „neue Bestseller von Jesper Juul“ (so der Beltz Vlg.) besteht aus thematisch zusammengefassten Gesprächsprotokollen mit Rückblicken. Der Leser/die Leserin hat die Möglichkeit, die eigene Situation wieder zu finden und aus den Erklärungen und Tipps von „Jesper“ Anregungen für die eigene Lage zu finden. Das Buch umfasst vier Kapitel: Willensstarke Kinder; Die Elternrolle; Alltagschaos und Elternbeziehungen. Zugrunde liegt ihm der Rote-Erziehungs- Faden des Jesper Juul, man solle mit Kindern ebenso wie mit einem Erwachsenen umgehen (S. 19).
In dieser Weise gibt er als Empfehlung etwa weiter: „Eure Tochter (sic. 3 ½) will kein Baby sein. Stell dir vor, dir würde jemand sagen, was du anziehen sollst! Wenn Kinder ins Trotzalter kommen, sollte man das feiern: ‚Jippije, du willst! Kannst du das selbst, dann kann ich in der Zwischenzeit meine Zeitung lesen. … Ich finde, ihr solltet am Samstag eine kleine Party veranstalten, wenn ihr mit ihr redet.“ (S. 37)
Feiern und Jubeln angesichts des Trotzalters ist ebenso angemessen wie Freudentränen im Hinblick auf pubertäres Komasaufen. Da nützten auch Lesezeichen und Hafties nichts. Nein, das geht gar nicht oder nur in Jespers Parallelwelt.
Da ich kein Bewohner dieses pädagogischen Kosmos bin, war für mich das Buch auf langen Strecken schlicht unerträglich in seiner Verdrehtheit und Gefühlsduseligkeit.
Nicht im Umgang mit Kindern, sondern im Umgang mit den Umständen, in denen sich die Eltern (bzw. das Elternteil) befinden, zeigt „Elterncoaching“ Stärken. Diese Umstände sind vielfältig und das Buch trägt dem Rechnung. Es geht nicht um die IKEA-Familie (vgl. S. 33), die von Wutanfällen oder Schlafmangel-Attacken erschüttert wird. Sondern es geht um eine Familie, die damit zurecht kommen muss, dass der Vater unter Depressionen leidet. Es geht um eine schwierige Patchwork-Situation oder um eine frischgeschiedene Mutter, die mit der neuen Situation überfordert ist.
Abschließend möchte ich einen Blick darauf werfen, wie „ADHS“ im Elterncoaching behandelt wird. Das Buch will zwar kein Ratgeber für diesen besonderen Erziehungsfall sein, aber im einen oder anderen Gespräch klingt ADHS an. Hier geht Jesper Juul ganz eigene Wege. Er nennt Kinder, die ihre Eltern mit ihrem Eigensinn, Trotz und unbändiger Impulsivität an den Rand ihrer Kräfte bringen, „autonome Kinder“. In einem Gespräch mit einem solchen Elternpaar bemerkt er: „Der Grund, warum ich frage, ist der, dass ich über Kinder forsche, über die noch nicht so viel geschrieben ist, denen ich aber schon häufig begegnet bin.“ Wie sieht wohl die Forschung eines Jesper Juul aus, der der Ansicht ist, dass über solche Kinder noch nicht viel geschrieben wurde?
Uwe Metz
neue Akzente Nr. 89 2/2011