ADHS-Ratgeber für Erwachsene
Dieter Pütz
Hogrefe-Verlag, 2006
ISBN-10: 3801719448
ISBN-13: 978-3801719449
Preis: € 19,95
ADHS bei Erwachsenen - obwohl ähnlich häufig wie bei Kindern - ist erst in den letzten Jahren ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten und zunehmend Thema der ADHS-Forschung und der entsprechenden Fachliteratur. Wer das heute zu rezensierende Buch zur Hand nimmt - seien es Betroffene, deren Angehörige oder einfach nur Leser, die sich informieren wollen - sie werden gut beraten, finden Hilfe und Anleitung.
Der Autor, Dieter Pütz, weist eine Reihe von fachärztlichen Kompetenzen auf, darunter Neurologie, Psychosomatik und Verhaltenstherapie. Das Buch trägt die Handschrift eines Menschen, der viel Erfahrung mit erwachsenen ADHS-lern hat und deren Behandlung ihm sehr am Herzen liegt.
Schauen wir uns zunächst den Informationsteil an: Er enthält alle wichtigen Erkenntnisse zum Thema ADHS, darunter auch ein Kapitel über die Unterschiede in den Verhaltensweisen von Frauen und Männern. Bei der sehr differenziert beschriebenen Entstehungsgeschichte gibt es - so Pütz - kein fehlerfreies Diagnoseverfahren und keine routinemäßigen Stoffwechseluntersuchungen, die zweifelsfrei beweisen, dass eine ADHS-Störung vorliegt. Was die Betroffenen eint, ist die Symptomatik. Diese sollte sich bis ins Kindesalter zurückverfolgen lassen, damit bei einem Erwachsenen die Diagnose ADHS getroffen werden kann.
An mehreren Stellen des Buches wird darauf hingewiesen, dass der untersuchende Arzt sich mit ADHS auskennen sollte, da diese Störung ein Risikofaktor für komorbide Erkrankungen ist. Der Autor nimmt auf der anderen Seite aber auch die erwachsenen Patienten in die Pflicht, ihre ADHS-Diagnose nicht als Lizenz zum Ausleben ihres Fehlverhaltens zu benutzen. Nur auf dieser Grundlage sei eine erfolgversprechende Therapie möglich. Wie auch bei ADHS-Kindern ist der Grad der Ausprägung der Symptomatik, sprich der Leidensdruck, entscheidend für den Beginn einer Behandlung. An dieser Stelle werden dann sehr ausführlich psychotherapeutische Verfahren erklärt, von denen der Verhaltenstherapie die meisten Chancen eingeräumt werden.
Bei der medikamentösen Behandlung ist Pütz sehr vorsichtig. Es gibt bedauerlicherweise in Deutschland noch kein generell für Erwachsene zugelassenes Medikament, von Einzelfallentscheidungen abgesehen. Außerdem sei die medikamentöse Behandlung kein Ersatz für psychosoziale Intervention, aber sie steigere die Wirksamkeit anderer Therapien, mache sie u. U. erst möglich.
Im ständigen Streit um die Vergabe von Methylphenidat nimmt der Autor allerdings sehr deutlich Stellung. Man befände sich fast wie in einem Glaubenskrieg. Erbittert und moralisierend werde gegen die Vergabe polemisiert. Man rede den großen Nutzen klein und übertreibe die relativ geringen Nebenwirkungen.
Doch was das Buch so interessant macht, ist der nun folgende Teil, der als Selbsthilfeprogramm überschrieben ist. „Ich bin nicht Schuld daran, dass ich ADHS habe, aber ich will von heute an die Verantwortung dafür übernehmen, was daraus wird" steht als Motto darüber. In sieben Bausteinen, von denen jeder eine bestimmte ADHS-Verhaltensweise zum Inhalt hat, werden Lösungsstrategien angeboten. Die Betroffenen finden z. B. Anregungen für tägliches Konzentrationstraining, eingebaut in den alltäglichen Stunden- oder Arbeitsplan. Man kann lernen, wie man Achtsamkeit üben, seine Affekte kontrollieren kann oder wie man sein absolut desorganisiertes Verhalten schrittweise ändert.
Bei all diesen Plänen wird dem Betroffenen suggeriert, dass ADHS auch Vorteile hat, die es zu nutzen gilt.
Das letzte Kapitel - quasi um das Selbsthilfeprogramm noch zu toppen - enthält 52 Tipps, für jede Woche des Jahres einen. Man braucht diese Tipps nicht stur hintereinander »abzuarbeiten«, sondern kann sie sich je nach Stimmung und Bedürfnis heraussuchen, so z. B. Tipp Nr. 3: Lesen Sie diese Woche jeden Tag ein berühmtes Gedicht! Dann gibt es Anleitung, die die Inhalte der Texte verinnerlichen helfen und nach Bildern und Gefühlen fragen, die sich bei der Lektüre einstellen.
Nun ist die Voraussetzung für die Durchführung des Selbsthilfeprogramms und der Tipps, dass man über einige kognitive Fähigkeiten verfügen sollte. Das gilt aber für andere und jedwede Fachliteratur sowieso.
Im Zeitalter des Internets nimmt die Bereitschaft zusehends ab, sich in ein Buch mit Ansprüchen zu vertiefen. Wer das aber will - »Ich werde handeln, damit ich nicht behandelt werden muss« - der kann sich eine Menge aus dem Buch herausholen. Im Anhang gibt es ein Glossar, ein Sachregister mit Seitenangaben und Fragebögen zum Selbsttest. Ein empfehlenswerter Ratgeber!
Margarete Gatzen
aus neue AKZENTE Nr. 76 - 2007