Disziplin ohne Angst
Wie wir den Respekt unserer Kinder gewinnen und ihr Vertrauen nicht verlieren
Wolfgang Bergmann
Beltz, 2007
ISBN-10: 3407858981
ISBN-13: 978-3407858986
Preis: € 17,90
Über Disziplin wird seit ungefähr zwei Jahren besonders viel veröffentlicht und diskutiert. Dabei steht häufig die Frage im Mittelpunkt, wie man sie denn am effektivsten »erzeugen« könne. »Gehorsamspädagogen« möchten sie gerne mit Nachdruck erzwingen; andere schlagen subtilere Techniken vor, die dennoch nichts anderes sind als Manipulation. Die Haltung von Wolfgang Bergmann ist eine völlig andere: »Gehorsam setzt immer Vertrauen voraus« heißt sein ersten Satz in »Dispziplin ohne Angst« (S. 8). Gehorsam folgt nach seinem Konzept aus Vertrauen und Stärke. Kinder, die starke Eltern haben, können auf deren Stärke vertrauen und hören darum auf sie, ist Bergmanns leicht nachzuvollziehende Psycho-Logik. Er will Disziplin nicht erzeugen, sondern Eltern zu jener Stärke verhelfen, die kindliche Disziplin natürlicherweise wachsen lässt.
Im ersten, dem Grundlagenkapitel, beschreibt der erfahrene Kinder- und Familientherapeut, wie sich Bindungen zwischen Eltern und Kind entwickeln. Je nach erzieherischer Grundhaltung kann die elterliche Autorität vom Kind als eine schützende oder ängstigende erlebt werden. Letztere lebt von permanenter Kontrolle - so kann kein Vertrauen wachsen und solche Disziplin macht dumm statt intelligent. Aber es gibt natürlich Entwicklungsphasen in Kindheit und Jugend, in denen Ungehorsam ganz normal ist: Trotzalter (Kap. 2) und Pubertät (Kap. 4). Ersteres ist die Phase des erwachenden Ich-Bewusstseins: »Das erste Ich-Gefühl - es ist von einer verzweifelten und überschwänglichen Radikalität« (S. 66). In dieser Zeit braucht das Kind die Obhut seiner Eltern ganz besonders, während die Super-Nanny oder andere Gehorsamspädagogen den Willen des Kindes auf der »stillen Treppe« oder an ähnlichen Orten zu brechen versuchen. Der so erzwungene Gehorsam geht mit Resignation oder Vertrauensverlust einher und schürt langfristig Rachegefühle. Ob in Bezug auf kindliches Spielen, sein Essverhalten, Liebe oder Gehorsam: »Seien wir auf den Hut, wenn wir in der Erziehung irendetwas ›erzwingen‹ wollen. Seien wir gans besonders auf der Hut, wenn wir dabei das beste Gewissen der Welt haben - gerade dann unterdrücken wir unser Mitgefühl, von den Narben der eigenen Kindheit überwältigt« (S. 95).
Im dritten Kapitel (»Schöne Kindheit, ohne Angst«) geht es um die Ermutigung des Kindes, seinen Weg zu finden und die Person zu werden, die in ihm steckt. Es ist für Eltern häufig nicht einfach, von den eigenen Träumen über die Zukunft ihres Kindes abzusehen, wenn seine Neigungen und Interessen sich ganz anders entwickeln. Es ist für sie auch nicht leicht, mit kindlichen Klauereien und nervtötendem Verhalten umzugehen. Bergmann stellt einfühlsam dar, wie Eltern kritische Situationen mit Enfühlungsvermögen und emotionaler Aufrichtigkeit meistern und damit gleichzeitig die Gewissensbildung fördern können. Starke Eltern brauchen Kinder auch in der Pubertät (4. Kap.: »Pubertät müsste verboten werden«). In dieser Zeit helfen Gelassenheit, das Bewusstsein, dass diese kritische Entwicklungsphase natürlicherweise vorübergeht, sowie eine gute Beziehung der Eltern zueinander. Die Balance zwischen Distanz zur pubertären Aufgeregtheit und Klarheit in - mit Entschiedenheit vertretenen - Positionen ist naturgemäß nicht einfach. Bergmann stärkt auch hier die Eltern mit Hilfestellungen für Verständnis und konfliktüberwindende Kommunikation.
Wie im ganzen Buch, so kommt Bergmanns humanistische Grundhaltung auch im fünften und letzten Kapitel (»Moderne Familien und was zum Gehorsam fehlt«) zum Tragen. Hier geht es zunächst an konkreten Beispielen um verhaltenstherapeutische Prinzipien im Zusammenhang mit dem Aufräumen oder mit hyperaktiven Kindern. Er warnt davor, dass Belohnungen die Motivation eher schädigen als stärken können und plädiert auch hier wieder für Vertrauen und Stärkung der Bindungen in der Familie. Auf den restlichen Seiten thematisiert der Autor die Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft, den Umgang mit Pornografie im Medinalltag und schließlich die Chat-Geheimnissen von Jugendlichen.
Das Buch macht es Eltern, die konkreten Rat hinsichtlich der Disziplinförderung ihrer Kinder suchen, zwar nicht gerade einfach. Aber im Unterschied zu vielen Ratgebern mit wohlfeilen Rezepten nimmt es seine Leserinnen und Leser ernst, stärkt sie in einer positiven Grundhaltung und ihrer Liebe zum Kind und vermittelt in verständlicher Sprache zentrale, hilfreiche pädagogische und entwicklungspsychologische Einsichten. Mit dem Nachwort wird deutlich, was Bergmann an die Stelle von »Disziplin« setzt: Es geht ihm um Ordnung - um die Ordnung der Dinge und die der Beziehungen, weil Menschen eben soziale Wesen sind.
Detlev Träbert
aus neue AKZENTE Nr. 78 - 2008