Beweg Dich, Schule!
Eine »Prise« Bewegung im täglichen Unterricht der Klassen 1-10
Dorothea Beigel
Borgmann Media, 2005
ISBN-10: 3938187158
ISBN-13: 978-393818715
Preis: € 22,80
»Bewegung kann gut dosiert werden, hat keine Nebenwirkungen und kostet nichts«. Diesen Satz aus dem vorliegenden Buch muss man sich so richtig auf der Zunge zergehen lassen. Wie wahr! Und doch sieht die Realität erschreckend anders aus. Sportmediziner und Orthopäden klagen darüber, dass sie das Natürlichste von der Welt verordnen müssen, nämlich Bewegung. Die Entwicklung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit, die Zeit, die dazu nötig ist und die Motorik, die diesen Prozess erst in Gang setzt, haben sich nicht verändert, aber die Gesellschaft ist eine diametral andere geworden. Früher tobten die Kinder stundenlang auf der Straße herum oder machten Nachbars Grundstücke unsicher, lernten beim Klettern Gefahren einschätzen, Ängste überwinden und hatten viel Gelegenheit, ihre Sinne zu schärfen. Man musste sie nicht zum Jagen tragen.
Heute wird vorwiegend gesessen: Im Auto, in der Schule, im Schulbus, am PC, wieder im Auto. Sportunterricht und Sportvereine können da nur punktuell nachhelfen. Nun kommt ein Buch daher, das in wörtlicher und übertragener Bedeutung für Abhilfe sorgen könnte, wenn man die Vorschläge systematisch umsetzt: Beweg Dich, Schule!
Die Autorin, Dorothea Beigel, ist eine erfahrene Pädagogin und in einem hessischen Schulamtsbezirk zuständig für die neurophysiologische Entwicklung, Diagnostik und Förderung von Kindern. Also eine Frau, die weiß, wovon sie spricht.
In ihrem Buch werden zunächst die verschiedenen Wahrnehmungssysteme beschrieben und deren Bezug zum Lernen und welche eminent wichtige Rolle die körperliche Bewegung für die geistige Beweglichkeit spielt. Es muss doch einen Grund geben, dass Babys ständig mit Armen und Beinen »rudern«, dass sie später kriechen und krabbeln, ohne dass man es ihnen zeigt und mit diesem »Bärengang« die Zusammenarbeit der beiden Hirnhälften anlegen und anregen - Voraussetzung für die spätere geistige Entwicklung.
In der Beschreibung der Arbeit des Gehirns wird deutlich, in welchem Areal wichtige Steuerungszentren angelegt sind, wie Kurz- und Langzeitgedächtnis funktionieren und welche Rollen Transmittersubstanzen spielen. Am Ende dieses ersten Teiles erscheint unter dem Zitat »Bewegung ist das Tor zum Lernen« eine lange Liste, an der man ablesen kann, in welchem Maße Bewegung Schubkräfte für das Lernen freisetzt.
Die »restlichen« Zweidrittel des Buches befassen sich dann ausschließlich mit Bewegunsspielen, deren Bandbreite von der Vorschule bis zur 10. Klasse reicht. Diese Spiele orientieren sich an den Lehrplänen der einzelnen Bundesländer und stehen nicht anstelle schulischen Lernens, sondern sind als Erleichterung, Ergänzung, Intensivierung und Motivationsförderung gedacht. Schule unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung zu sehen, Lernen mit allen Sinnen zu ermöglichen sollte die Botschaft dieses Buches sein. Es ist schier unmöglich, die gut 100 Spiele, die z. T. noch Varianten beinhalten, auch nur ansatzweise zu beschreiben. Von der Kleingruppe bis zur Klassenstärke, mit und ohne Material, mit verschiedensten Arbeitsformen wie Gehen im Raum, am Tisch sitzend, freies Bewegen im Schulhaus, Partnerarbeit, werden der ganze Körper gefördert; alle Muskeln beansprucht, (auch Grimassenschneiden gehört dazu!) das Gedächtnis trainiert, Alltägliches verautomatisiert und Reaktionsfähigkeit geübt. Das alles auf einer Basis, die Lust am Lernen geradezu provoziert. Und benotet wird nicht. Das ist wichtig. Wer also erfahren möchte, wie mit Bewegung lateinische Vokabeln, Fakten aus dem Geschichtsunterricht oder die Rechenfähigkeit gefestigt werden, der vertiefe sich in dieses Buch. Es lohnt sich.
Eine besondere Rolle spielen am Ende des Buches die sogenannten Brain-Gym-Spiele. (=Gehirngymnastik) Bei diesen Spielen ist jeweils ein Ziel angegeben, z. B. Überkreuzen der Körpermittellinie, Dehnung und Entspannung der Muskulatur, vertiefte Sauerstoffaufnahme, Anregung der Sprechfreude. Diese Spiele sind besonders für Kinder gedacht, die Seh- und Hörprobleme, Sprach-Lernschwierigkeiten haben.
Ob man das nun alles gut findet oder nicht, das Buch ist in jedem Fall eine große Hilfe, aus dem Bewgungsstau herauszukommen. Eine »Prise« täglich wird im Unterricht geraten. So kann Freude an der Bewegung vermittelt werden, zur Nachahmung empfohlen.
Dass diese neue Art des Unterrichtes klare Regeln und Strukturen voraussetzt, versteht sich am Rande. Es braucht eine Zeit der inneren und äußeren Vorbereitung, bis man mit dieser Methode anfangen sollte. Deshalb ein gut gemeinter Rat an Lehrerinnen und Lehrer. Bevor Sie sich an die Arbeit machen, sollten Sie Ihre Klasse mental fest im Griff haben. Es gibt viele Kinder, die außer am PC spielen nicht mehr gewöhnt sind. Sie werden Bewegungsspiele als albern empfinden, herumkaspern und sich genieren. Hier ist Ihr pädagogisches Gespür gefragt. Zur Vorbereitung werden im Buch auch Programme für Elternabende vorgestellt. Also bewegt Euch! Für alle Schularten und Vorschule geeignet.
Margarete Gatzen
aus die AKZENTE Nr. 72 - 2006